«Simone Hofer, Chirurgin und Mutter: Geht das überhaupt?»

Simone Hofer ist Leitende Ärztin am Kantonsspital Graubünden in Chur. Die Mutter von vier Kindern erzählt im Interview, was sie an der Gefässchirurgie fasziniert.

, 4. Februar 2019 um 19:22
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Frau Hofer, Ihre vier Kinder sind im Alter von 7 bis 17. Jahren. Chirurgin und Mutter: Geht das überhaupt? 

Es ist sicher schwierig, zumal mein Mann als Urologe ebenfalls chirugisch tätig ist. Wir konnten und können die Betreuung der Kinder immer dank guter Planung, anfangs dank Kita und mit Hilfe der Grosseltern und später mit Kinderbetreuerinnen lösen. 

Schwierig, aber es scheint zu gehen: Sie sind der Beweis.

Alle Mütter, die eine berufliche Karriere einschlagen, haben lange Arbeitstage und stehen vor organisatorischen Herausforderungen. In unserem Arbeitsbereich liegt aber die Schwierigkeit darin, dass wir die Arbeit weniger steuern können. 

Wie meinen Sie das konkret?

Wir haben zwar unseren Dienstplan. Aber es gibt immer wieder Patienten, die uns am Abend oder am Wochenende brauchen. Und es gibt immer wieder Operationen, die länger als geplant dauern oder später beginnen. Und dann kann und will man nicht Nein sagen.

Trotzdem können Sie ja nicht immer im Spital sein, oder?

Ja, das ist so. Wenn man ein Hundertprozent-Pensum hat, dann ist das Problem weniger ausgeprägt. So hat man sich bei Männern, die sich nicht um Kinder kümmern müssen, daran gewöhnt, dass sie fast rund um die Uhr einsatzfähig sind. Schwieriger wird es aber, wenn man teilzeit arbeitet und nicht die gesamte Kinderbetreuung delegieren will.  

90 Prozent der Gefässchirurgen sind Männer. Stellen Sie eine Trendänderung fest?

Als Studentin gehörte ich zum ersten Jahrgang, wo im Medizinstudium mehr Frauen als Männer immatrikuliert waren. In der chirurgischen Arbeitswelt nach sechs Jahren Studium habe ich davon nichts mehr gemerkt. Ich war praktisch die einzige Frau. 

Das hat sich inzwischen verändert, oder?

Im Verlauf der Berufsjahre waren dann immer mehr junge Chirurginnen anzutreffen. Zeitweise hatten wir in Zürich in der Allgemeinchirurgie fast nur noch Assistenzärztinnen. Doch je spezialisierter die Fachrichtung und je höher die Hierarchie, desto kleiner der Frauenanteil. Das ändert sich nur sehr langsam. Und dass Spezialisierung auch in Teilzeit möglich ist, das wird immer noch von vielen in Frage gestellt. 

Was machen denn die Frauen, die mit Ihnen das Studium in Angriff nahmen?

Wahrscheinlich suchten sie Tätigkeiten, bei der sie besser teilzeit arbeiten können, oder die besser mit der Familie vereinbar sind. 

Zum Beispiel Telemedizin.

Ja, zum Beispiel, wenn man das will. Aber es gibt noch viele andere Möglichkeiten. Für mich war das nie eine Option.

Eine Option war dafür ausgerechnet Gefässchirurgie. Warum auch?

Als ich erstmals im Wahlstudienjahr im Operationssaal war, hat es mich gepackt und ich wusste, dass ich Chirurgin werden will. Die Verknüpfung des Intellektuellen mit dem technischen Anspruch faszinierte mich. In der Gefässchirurgie muss man sehr exakt arbeiten, man zerstört nichts wie etwa in der Tumorchirurgie, sondern man stellt wieder etwas her, es ist sehr konstruktiv, kreativ....

Ausser bei Beinamputationen...

Das ist das Destruktive an unserer Tätigkeit, was mir auch nicht gefällt. Es gehört leider dazu. Man lässt aber nichts unversucht, um das Bein nicht amputieren zu müssen.

Ich hatte Sie unterbrochen.

Das Schöne in der Gefässchirurgie liegt auch darin, dass man häufig den direkten Erfolg sehen kann. Man sieht rasch, ob die Naht dicht ist, oder ob das Bein wieder durchblutet ist. Das ist sehr befriedigend.

Gefässchirurgie gilt als aufwendig, es gibt häufig Nachbehandlungen, Nachkontrollen, immer wieder Revisionen. Was ist reizvoll daran?

Nachkontrollen stören mich überhaupt nicht. Im Gegenteil. Ich habe viele Patienten, die ich über mehrere Jahre betreue. Ich finde das positiv. Wir kennen uns. Klar: Die Bypass-Chirurgie kann mühsam sein, wenn es immer wieder einen Verschluss gibt. Ich gebe zu, dass das nicht mein Hauptinteresse ist. Die Aorta-Chirurgie finde ich viel spannender.

Korrigieren Sie mich: Gerade wegen der vielen Nachbehandlungen gilt die Gefässchirurgie als wenig lukrativ.

Möglich, das weiss ich nicht, aber das interessiert mich auch nicht. Ich hatte nie die Absicht, mich selbstständig zu machen und in einer Privatklinik zu arbeiten. Ich habe meinen Weg nie aufgrund der Verdienstmöglichkeiten ausgewählt. Ich arbeite sehr gerne in einem Team und an einem öffentlichen Spital.

Sie sagten, die Aorta-Chirurgie fänden Sie spannend. Rund zwei Drittel der Eingriffe machen Sie endovaskulär, also durch das Gefässinnere. Warum ist das besser als über einen Bauchschnitt?

Der Vorteil liegt darin, dass der Patient beim endovaskulären Eingriff nach zwei Tagen wieder nach Hause kann. Bei der offenen Aorta-Chirurgie liegt der Patient mindestens sieben bis zehn Tage im Spital, muss sich nachher vier Wochen schonen, darf in dieser Zeit keinen Sport treiben und bleibt je nach beruflicher Tätigkeit teilweise arbeitsunfähig. Die Sterblichkeitsrate oder das Risiko einer Impotenz ist beim endovaskulären Eingriff viel geringer als beim Bauchschnitt.

Also muss ich umgekehrt fragen: Warum wird immer noch in jedem dritten Fall der Bauch aufgeschnitten?

Ich mache sehr selten den Bauchschnitt. Bei gewissen anatomischen Gegebenheiten eignet sich der Eingriff durch das Gefässinnere weniger. Es braucht eine Zone, in der man den Stentgraft platzieren muss. Wenn dazu der Platz fehlt, ist eine offene Operation unter Umständen angezeigt, obwohl es inzwischen auch dann endovaskuläre Optionen gibt.

4 bis 7 Prozent aller Ü65 haben ein Bauchaortenaneurysma. Mit Ultraschall könnte man eine Erweiterung der Aorta leicht erkennen. Warum hat die Schweiz kein Screeningprogramm, wie England, Schweden oder die USA?

Meines Wissens bringen diese Programme nicht genügend Resultate. Sinnvoll wäre ein Screening bei Risikopatienten, was der Hausarzt problemlos machen kann.

Bei Diabetespatienten und Rauchern?

Vor allem bei Rauchern. Das ist die grösste Risikogruppe. Dann auch Diabetes, hoher Blutdruck, zu hohe Blutfettwerte und dann noch eine wichtige Gruppe: wenn das Bauchaortenaneurysma in der Familie vorkommt.

Mit einer prophylaktischen Operation kann das Einreissen der Schlagader verhindert werden. Wie oft führen Sie solche Operationen durch?

Um die 50 pro Jahr. Hinzu kommen etwa ein halbes Dutzend Rupturen, einmal mehr, einmal weniger.

Stimmt es, dass beim Riss der Schlagader die Überlebenschance nur bei 50 Prozent liegt?

Bei denen, die es bis ins Spital schaffen, beträgt die Sterblichkeitsrate zwischen 30 und 40 Prozent. Die Zahl der Rupturen nimmt weltweit tendenziell ab.

Warum das?

Das ist nicht ganz klar. Eventuell als Folge von Untersuchungen und prophylaktischen Operationen.

«Teilzeit ist immer noch die Ausnahme»

«Teilzeitarbeit ist bei Chirurginnen immer noch die Ausnahme», erklärt Simone Hofer im Interview am Kantonsspital in Chur. 2001, nach der Geburt des ersten Sohnes, reduzierte sie ihr Pensum auf 75 Prozent. Im Triemli war es ihr jedoch nicht erlaubt, pro Woche anderthalb Tage zu Hause zu bleiben. Sie musste blockweise arbeiten. Das heisst vier bis fünf Wochen voll arbeiten und dann eine bis zwei Wochen frei nehmen.
Das machte die Kinderbetreuung extrem schwierig. Die Krippenplätze mussten fix bezahlt werden. «Ohne Hilfe der Grosseltern wäre das fast nicht möglich gewesen», konstatiert die Gefässchirurgin.
Den Schwerpunkttitel Allgemein- und Unfallchirurgie erhielt sie damals in der Übergangsregelung dank ihres Operationskatalogs. Doch im Triemli durfte die Mutter kleiner Kinder keinen weiteren Schwerpunkttitel erwerben. Begründet wurde dies mit der Teilzeittätigkeit.
Simone Hofer erhielt darauf am USZ bei Professor Mario Lachat die Möglichkeit, in Teilzeit die Ausbildung zur Gefässchirurgin zu machen und konnte diese am Kantonsspital Chur bei Professor Markus Furrer in Teilzeitarbeit erfolgreich beenden. 
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