Druck in der Neonatologie: Was das Personal hier wirklich belastet

Eine Umfrage in den Schweizer Neonatologie-Intensivstationen zeigt: Mediziner und Pflege wünschen mehr Zeit für Austausch, auch mehr psychologische Unterstützung. Aber die Teams funktionieren gut.

, 10. August 2017 um 06:29
image
  • arbeitswelt
  • spital
  • neonatologie
  • intensivmedizin
  • forschung
In in der Betreuung von Frühgeborenen erwachsen oft besonders heikle ethische Fragen, die Belastung und die Burnout-Risiken sind hoch. Aber was macht hier wirklich Stress? Woher kommen die ernsthaftesten Belastungen? Solchen Fragen ging jetzt ein Team von Neonatologen aus Zürich und Luzern nach.
Die Forscher um Jean-Claude Fauchère (USZ) fragten im Rahmen ihrer Studie bei 550 Ärzten und Pflegeprofis aus allen Schweizer NICUs (Neonatologie-Intensivstationen) an – und erreichten eine Rücklaufquote von 72 Prozent. Genauer: 96 Ärzte und 302 Pflegefachleute gaben ihre Einschätzungen ab.



Auf die Frage, welche Aspekte der Arbeit öfters eine Ursache für Stress und Kummer sind («sources of distress»), wurden am häufigsten genannt:

  • Ein Mangel an regelmässigen Team-Zusammenkünften
  • Zuwenig Zeit für Routinediskussionen über schwierige Fälle
  • Zuwenig psychologische Unterstützung für die Angestellten der NICU, auch für deren Familien
  • Informationsprobleme: Mangelnde Verbreitung wichtiger Informationen innerhalb der Teams.

Das heisst auf der anderen Seite: Die existenziellen Fragen in der direkten Arbeit mit den kleinen Patienten wurden vergleichsweise seltener als belastend beschrieben. Etwa 10 Prozent nannten die «Betreuung von sterbenden Patienten» oder «Entscheidungen über das Lebensende» als häufige Ursachen von Stress. Der Mangel an regelmässigen staff meetings wurde etwa doppelt so oft erwähnt.

Unterschiede Pflege–Ärzte

Spürbar wurden auch Unterschiede zwischen Pflege und Ärzteschaft: Die Pflegeteams nannten häufiger eine gewisse Unzufriedenheit mit den Entscheidungsprozessen, mit der Häufigkeit von Team-Meetings oder mit der vorhandenen Zeit für die Diskussion schwieriger Fälle.
Grundsätzlich aber deuteten die Fragen zum Burnout an, dass die Lage nicht bedrohlich ist: «Auch wenn einzelne Individuen ein Risiko haben mögen, fanden wir beim Schweizer NICU-Personal durchschnittlich tiefe Burnout-Levels», so die Autoren der im «Swiss Medical Weekly» erschienenen Arbeit.
Auch gaben nur 6 Prozent der Befragten an, dass ihre Arbeitsbelastung das Privatleben öfters aufwühle.
Positiv erscheint ferner, dass personelle Animositäten und Streit innerhalb des Team am seltensten als Stress-Punkte genannt wurden. 
Artikel teilen

Loading

Comment

Mehr zum Thema

image

Temporärarbeit in der Pflege: (K)ein Problem!

«Zu teuer, zu flexibel, zu problematisch?» Die Kritik an Temporärarbeit reisst nicht ab. Doch David Paulou, Direktor der grössten Schweizer Personalberatung im Gesundheitswesen, hält dagegen – mit Fakten, die das gängige Bild infrage stellen.

image

Lohnangabe: Einzig das Kispi bricht das Tabu

Schon in der Stellenausschreibung steht das Gehalt: So viel Transparenz geht den meisten Spitälern zu weit. Warum eigentlich?

image

Empa-Forschende entwickeln selbsthaftende künstliche Hornhaut

Forschende der Empa und der Universität Zürich haben eine künstliche Hornhaut entwickelt, die künftig Spendergewebe ersetzen könnte.

image

Raus aus der Chirurgie, rein in die Privatwirtschaft

«Aufwand und Ertrag stimmen in der Chirurgie nicht», sagt der ehemalige Chirurg Mathias Siegfried. Er zog die Reissleine und wechselte in die Privatwirtschaft.

image

«Nulltoleranz» gegenüber Aggressionen am Spital Wallis

68 Prozent mehr Fälle von asozialem Verhalten in zwei Jahren – Eine neue Richtlinie und eine Sensibilisierungskampagne sollen künftig das Personal vor Übergriffen durch Patienten und Angehörige schützen.

image

Frühpensionierung? Nicht mit uns.

Mitten im Medizinermangel bietet eine grosse deutsche Erhebung ein überraschendes Bild: Nur sehr wenige Ärztinnen und Ärzte streben einen frühen Ruhestand an. Viele möchten bis in die späten Sechziger oder gar Siebziger tätig sein – mit Leidenschaft.

Vom gleichen Autor

image

Spital heilt, Oper glänzt – und beide kosten

Wir vergleichen das Kispi Zürich mit dem Opernhaus Zürich. Geht das? Durchaus. Denn beide haben dieselbe Aufgabe: zu funktionieren, wo Wirtschaftlichkeit an Grenzen stösst.

image

Überarztung: Wer rückfordern will, braucht Beweise

Das Bundesgericht greift in die WZW-Ermittlungsverfahren ein: Ein Grundsatzurteil dürfte die gängigen Prozesse umkrempeln.

image

Kantone haben die Hausaufgaben gemacht - aber es fehlt an der Finanzierung

Palliative Care löst nicht alle Probleme im Gesundheitswesen: … Palliative Care kann jedoch ein Hebel sein.