Europa importiert Ärzte – und verliert sie zugleich

Bis 2030 fehlen auf dem Kontinent fast eine Million Gesundheitsfachleute. Mitarbeiterbindung, faire Rekrutierung und smarte Migrationspolitik werden fundamental.

, 15. Oktober 2025 um 04:22
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Die wichtigsten Migrationsströme von Gesundheitspersonal in Europa  |  Grafik: WHO, aus der zitierten Studie.
Europa wird immer stärker abhängig von Gesundheitsfachleuten aus aller Welt. Die Entwicklung war bereits in den letzten Jahren klar und drastisch – und sie wird sich fortsetzen. Ein neuer Report der Welt-Gesundheitsorganisation WHO warnt nun vor den Folgen.
Laut den Berechnungen der WHO werden auf dem Kontinent bis in fünf Jahren – 2030 – rund 950’000 Fachleute für diesen Bereich fehlen. «Dies macht Mitarbeiterbindung, gerechte Verteilung und das Management der Migration zu dringenden Prioritäten», heisst es im Bericht.
In den zehn Jahren von 2014 bis 2023 stieg die Zahl der Ärztinnen und Ärzte, die von ausserhalb immigrierten, um 58 Prozent. Beim Pflegepersonal betrug der Zuwachs sogar 67 Prozent. Und mehr als zwei Drittel dieser Fachleute hatten ihre Ausbildung auch ausserhalb Europas genossen.
Logischerweise entfiel ein grosser Teil dieser Einwanderung auf grosse Länder wie Deutschland und Grossbritannien (die gemeinsam 62 Prozent der Ärzte und 88 Prozent der Pflegefachleute mit «fremdem» Abschluss aufnahmen).
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Einwanderung von Ärzten und Pflegenden in diversen Ländern, 2023: Ausgebildet in Europa (blau), ausgebildet ausserhalb von Europa (orange)
Doch die Schweiz gehört ebenfalls in bestimmte Spitzengruppen: Sie ist nach Zypern, Israel, Norwegen und Irland das Land mit dem höchsten Anteil an ausländischen Medizinern (40 Prozent). Und sie ist das Land mit dem zweithöchsten Anteil an ausländischen Pflegefachleuten (27 Prozent – nach Irland mit 52 Prozent).
Allerdings ist der Anteil an Fachleuten mit einem nicht-europäischen Abschluss hierzulande sehr gering: Die Schweiz «wildert» also relativ wenig in den ärmsten Ländern – sondern engagiert ihr Gesundheitspersonal bei den Nachbarn. Welche dann wiederum in weiter entfernten Ländern nach Verstärkung suchen …
Der WHO-Report verdeutlicht die entsprechenden Folge-Probleme: Bestimmte Länder in Ost- und Südeuropa verlieren massiv Ärzte und Pflegefachleute an die Nachbarländer – was die ohnehin vorhandenen Mängel verschärft.

Ziel: dass alle profitieren

Der Report präsentiert andererseits diverse Fallstudien, laut denen die Lage auch verbessert werden konnte. So das Beispiel von Rumänien, das durch Veränderungen bei Entlöhnung, Arbeitsbedingungen und Ausbildung die Ärzte-Auswanderung massiv bremsen konnte. Oder das Beispiel von Irland, das früher viel stärker auf Healthcare-Immigration angewiesen war, nun aber den Fachkräftepool selber deutlich steigern konnte.
Anders gesagt: Die grosse Aufgabe liegt darin, die Migration des Gesundheitspersonals intelligent zu gestalten, so dass alle Seiten davon profitieren.
«Wir haben Lösungen, um sicherzustellen, dass sie [die Migration] für alle Beteiligten von Vorteil ist. Die Länder können von den Erfahrungen der anderen lernen», sagt WHO-Direktorin Natasha Azzopardi-Muscat: «Aber wenn wir die Migration von Gesundheitspersonal nicht fair gestalten, riskieren wir, gesundheitliche Ungleichheiten zu vergrössern und die ohnehin fragilen Gesundheitssysteme überfordern.»
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